Gentrifizierungsstudie: Verdrängung macht nicht unglücklich

Verdrängung findet zwar statt, Verdrängte sind nach dem Umzug oft allerdings zufriedener als zuvor. Zu diesem überraschenden Ergebnis kommt die Studie „Verdrängung auf angespannten Wohnungsmärkten“. Diese wurde im Rahmen eines Forschungsprojekts zur wissenschaftlichen Untersuchung von Verdrängungsprozessen in ausgewählten Berliner Quartieren von der Wüstenrot Stiftung und dem Geographischen Institut der Humboldt-Universität zu Berlin veröffentlicht.

Da die Gentrifizierung auf angespannten Wohnungsmärkten immer häufiger zum Thema des politischen Diskurses wird, gehen die Autoren der Frage nach, wie hoch die Verdrängungsrate in Berlin ist, wohin verdrängte Bevölkerungsgruppen ziehen und welche Auswirkungen die ungewollten Umzüge auf die Betroffenen haben. Die berechnete durchschnittliche Verdrängungsrate, also die Umzüge, die eine Reaktion auf immobilienwirtschaftliche Aufwertung waren, liegt in Berlin bei nur 4,1 Prozent.

Für 61,5 Prozent stieg die Lebensqualität
Ähnlich interessante Beobachtungen machten die Autoren bezüglich der Auswirkung, die ein Umzug auf die Verdrängten hat. Hierfür wurden die Verdrängten und jene, die aus anderen Gründen umzogen, zu ihrer Wohnzufriedenheit befragt. Abgefragt wurden verschiedenste Aspekte der Wohnsituation, wie beispielsweise Lage, Kosten und Qualität der Wohnung. Im Durchschnitt erhöhte ein Umzug die Wohnzufriedenheit aller Befragten. 61,5 Prozent der Verdrängten gaben an, dass ihre Lebenszufriedenheit nach dem Umzug gestiegen sei.

12,3 Prozent sind unzufriedener
Eine Einbuße an Lebensqualität konstatierten hingegen lediglich 12,3 Prozent der Verdrängten. Alle Befragten vermochten mit ihrem Umzug die Zufriedenheit mit der Wohnlage in gleichem Umfang zu steigern und fast alle Befragten konnten ihre Zufriedenheit mit der Wohnungsqualität nach der Verdrängung erhöhen. Erstaunlich ist auch, dass Verdrängte nach dem Umzug im Schnitt zwar etwas unzufriedener sind als Nicht-Verdrängte, dieser Tatbestand aber nicht darauf zurückzuführen ist, dass sie verdrängt wurden. Die Ursache der etwas geringeren Zufriedenheit von Verdrängten hat ihren Ursprung also in anderen Faktoren.

Die Unterschiede der Zufriedenheit von Verdrängten und Nicht-Verdrängten vor dem Umzug liegen insbesondere in drei sehr naheliegenden Aspekten. Verdrängte gaben häufiger an, vor dem Umzug unzufrieden mit den Kosten, dem Verhältnis zum Vermieter und dem Verhältnis zur Hausverwaltung gewesen zu sein. All diese Faktoren sind im Fall einer Verdrängung natürlich eng mit dem Umzug verbunden oder sogar dessen Ursache. Es verwundert daher nicht, dass die Befragten hier Unterschiede aufweisen und die Zufriedenheit der Verdrängten mit diesen drei Aspekten nach dem Umzug deutlich zunimmt.

Einzelbeispiele prägen die Wahrnehmung
Bei den wenig dramatischen Ergebnissen der Studie drängt sich einem unweigerlich die Frage auf, warum dieses Thema derzeit politisch so präsent ist. Denn die Faktenlage widerspricht der Annahme, dass Verdrängung in Deutschland ein zentrales Problem für Mieter darstellt. Der Grund für die vorherrschende Verzerrung wird nicht zuletzt die mediale Präsenz des Themas sein. Eine detaillierte Recherche der Autoren ergab, dass sich in der Zeit von 2010 bis 2016 nur 26 verschiedene Verdrängungsbeispiele in der Berliner Presse finden lassen, diese jedoch stark ausgeschlachtet wurden. Es ist unbestreitbar, dass die Verdrängung für diese Betroffenen höchst problematisch gewesen sein wird. Es ist jedoch fragwürdig, ob einzelne Härtefälle Grundlage des politischen Diskurses sein sollten, wenn empirisch belegt werden kann, dass die Situation im Allgemeinen von diesen Fällen abweicht und die mediale Darstellung von Verdrängung nicht mit den allgemeinen Befunden der Stadtforschung korrespondiert.

Fazit
Die Autoren der Studie schlussfolgern, dass die ermittelten Folgen von Verdrängung weniger gravierend ausfallen als ursprünglich vermutet.

Jakob Grimm, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Haus & Grund Deutschland

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