Christian Dürr (FDP): Deutschland steht vor gewaltigen Herausforderungen

Der Krieg in der Ukraine hat dazu geführt, dass wir vor großen Herausforderungen bei der Aufnahme von Flüchtlingen stehen. Aber auch aus energiepolitischer Sicht wird ein sehr kurzfristiger Paradigmenwechsel in unserem Land eingeleitet und viele ambitionierte Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag müssen daher neu bewertet werden. Vor diesem Hintergrund haben wir mit Christian Dürr, dem Fraktionsvorsitzenden der Freien Demokraten, gesprochen. Moderiert von Maximilian Flügge ist das Originalgespräch im Haus & Grund-Podcast nachzuhören.

Das Thema Ukraine ist omnipräsent. Die Bestürzung ist groß, wir alle fühlen uns betroffen und ohnmächtig. Wie geht es Ihnen damit, Herr Dürr? Wie erleben Sie die Krise?

Dürr: Natürlich – man fühlt sich ohnmächtig, wenn zum Beispiel ein Kinderkrankenhaus in Mariupol angegriffen wurde. Dieser Ohnmacht muss man aber auch mit klarem Verstand begegnen. Wir sehen uns mit einer sicherheitspolitischen Bedrohung konfrontiert, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht mehr hatten. Genau deshalb müssen wir auch bei der Bundeswehr nachlegen. Als Freier Demokrat ist es mir auch wichtig zu betonen, dass die Ukrainer derzeit den Wert der Freiheit Europas verteidigen. Genau deshalb ist auch die Solidarität der Menschen in ganz Europa so groß. Auch in Deutschland sehen wir das an der großen Bereitschaft, Flüchtlingen Wohnraum zur Verfügung zu stellen.

Warnecke: In der Tat. Auch viele Haus & Grund-Mitglieder haben Flüchtende in ihren eigenen Wohnungen aufgenommen. Oder sie bieten Wohnungen an, die gerade zur Vermietung anstehen. Doch wir hören auch immer wieder von Problemen bei der Vermittlung: Unsere Mitglieder können sich zwar an ihre Kommunen wenden, um freien Wohnraum zu melden. Der angebotene Wohnraum wird registriert – doch dann kommt keine Rückmeldung. Die Kommunen sind einfach überfordert. Das ist sehr schade, wenn die Hilfe nicht ankommt. Hier müsste nachgebessert werden, etwa mit einem digitalen Registrierungsportal.

Dürr: Ich stimme zu, dass die Koordination verbessert werden muss. Da hat die alte Bundesregierung leider zu wenig aus 2015 gelernt. Schließlich war absehbar, dass irgendwann wieder eine Flüchtlingskrise aufkommen kann. Da hätte man eine digitale Lösung schaffen müssen – das müssen wir nun nachholen.

Auch das Thema Energieversorgung und Energiekosten treibt uns seit der Ukraine-Krise um. Wir erleben derzeit eine Preisexplosion – wie soll es nun weitergehen?

Dürr: Die jetzige Bundesregierung hat leider das Erbe von zwei Hypotheken angetreten. Zum einen sind wir in den letzten Jahren nicht unabhängiger, sondern noch abhängiger von russischen Gasimporten geworden. Zum anderen war Deutschland schon vor der Krise ein Land mit Energiehöchstpreisen, unter denen Verbraucher gelitten haben. Aus meiner Sicht war die Energiepolitik der letzten fünfzehn bis zwanzig Jahre nicht marktwirtschaftlich. Nun machen sich Preissprünge bei Gas und Benzin umso bemerkbarer. Deutschland steht beim Thema Energie vor gewaltigen Herausforderungen mit mehreren Baustellen: Einerseits müssen wir die erneuerbaren Energien im eigenen Land weiter vorantreiben. Andererseits müssen wir uns bei den Energieimporten umschauen. Denn Deutschland kann sich nicht autark mit Energie versorgen. Das funktioniert nicht in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt. Wir brauchen also Energieimporte, die CO2-neutral sind. Ich denke da beispielsweise an das Thema Wasserstoff und an synthetische Kraftstoffe, die zumindest perspektivisch fossile Energieträger ersetzen können.

Warnecke: Das ist aber keine Lösung für hier und jetzt. Viele Eigentümer und Vermieter würden gerne auf erneuerbare Energien umstellen, können es aber nicht. Für die Umstellung auf eine Wärmepumpe zum Beispiel muss das Haus vorbereitet sein und über eine Wärmedämmung und Flächenheizkörper wie eine Fußbodenheizung verfügen. Dann ist die Umstellung finanziell tragbar. Für manche Haustypen gibt es aber schlichtweg keine geeigneten Technologien. Und auch bei der Versorgung mit Nah- und Fernwärme herrscht Unklarheit, ob und wann ein Gebiet angeschlossen wird. Das müssen Eigentümer aber für ihre Planung wissen. Es ist schließlich unsinnig, eine teure Wärmepumpe einzubauen, wenn man ein paar Jahre später zwangsweise an ein Wärmenetz angebunden wird. Daher meine Bitte an die Politik: Wir brauchen für viele Gebäude erst noch technische Lösungen sowie mehr Klarheit bei den verfügbaren Energiequellen. Erst dann kann die Politik Eigentümer verpflichten, auf erneuerbare Energien umzustellen.

Auch das Thema CO2-Bepreisung rückt angesichts der Energiekostenexplosion in den Fokus. Welchen Vorschlag haben Sie diesbezüglich an die Regierung, Herr Warnecke?

Warnecke: Auch da habe ich eine ganz klare Bitte an Herrn Dürr: Sie haben im Koalitionsvertrag die Einführung eines Klimagelds beschlossen, um die Menschen von den steigenden CO2-Preisen zu entlasten. Jetzt, angesichts der explodierenden Energiepreise, muss dies in die Tat umgesetzt und die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung an die Bürger zurückerstattet werden.

Dürr: Ich halte den europäischen Emissionshandel für ein sehr effizientes Instrument, weil damit der CO2-Ausstoß effizient gesteuert und reduziert werden kann. Dadurch entstehen dem Staat gleichzeitig auch ungewollte Einnahmen. Diese Einnahmen wollen wir pro Kopf mit dem sogenannten Klimageld zurückgeben.

Warnecke: Wunderbar. Das würde auch noch ein anderes Problem lösen. Die Bundesregierung hat bekanntlich beschlossen, dass der CO2-Preis ab dem kommenden Jahr nicht mehr voll umlagefähig für Vermieter sein soll. Dass der Vermieter für das Warmduschen des Mieters bezahlen soll, ist aus unserer Sicht vollkommen ungerecht. Das Thema wäre aber erledigt, wenn die Einnahmen der CO2-Bepreisung zurückerstattet würden.

Dürr: Die Aufteilung des CO2-Preises war kein Herzenswunsch der FDP. Aber wir sind in einer Koalition mit zwei Partnern – da muss man Kompromisse machen. Aber ich bin dafür, das Klimageld schnell umzusetzen, damit wir eine faire Entlastung schaffen.

Was möchten Sie Herrn Dürr beim Thema Mietrecht mit auf den Weg geben, Herr Warnecke?

Warnecke: Ein Punkt ist die Mietpreisbremse, die laut Koalitionsvertrag nochmals um fünf Jahre verlängert werden soll. Wir alle wissen: Die Wohnkosten sind hoch. Aber mit der Mietpreisbremse soll nur die Kaltmiete gebremst werden. Vergleicht man jedoch den Anteil der Nettokaltmiete am Haushaltseinkommen, sind die Mieten in Deutschland durchweg bezahlbarer geworden. Dazu haben wir eine Studie durchgeführt mit dem Ergebnis, dass lediglich in vier von 413 Landkreisen zwischen 2015 und 2020 die Kaltmieten stärker gestiegen sind als die Haushaltseinkommen. Nur in diesen vier Landkreisen ist die Miete weniger bezahlbar geworden. Auch in allen sieben Großstädten, den sogenannten A-Städten, sind die Haushaltseinkommen stärker gestiegen als die Mieten. Vor allem dort, wo am lautesten nach der Mietpreisbremse gerufen wird, zeigen die Fakten etwas völlig anderes. Handlungsbedarf besteht bei den Menschen, die eine übermäßige Kostenbelastung haben, weil sie nicht von gestiegenen Löhnen profitieren konnten. Da würden wir uns von der FDP wünschen, dass sie genau schauen, wo die Probleme liegen und diesen Menschen gezielt helfen, anstatt ein unwirksames Instrument wieder und wieder zu verlängern.

Dürr: Die Mietpreisbremse ist kein bevorzugtes Instrument der FDP, doch die SPD hat in den Koalitionsverhandlungen auf eine Verlängerung bestanden. Wir möchten dem einzelnen Mieter helfen – etwa mit dem Wohngeld und dem Heizkostenzuschuss –, aber nicht den Markt kaputtmachen. Was das Wohnen betrifft, sind auch Kostensteigerungen beim Neubau ein Thema. Bauen ist einfach erheblich teurer geworden in den letzten Jahren. Doch wir brauchen Investitionen und neue Wohnungen, was in Zeiten von Lieferengpässen und Fachkräftemangel immer schwieriger wird. Ein Mietendeckel, wie wir ihn kurzzeitig in Berlin hatten, macht den Markt erst richtig kaputt. Denn wenn das Angebot an Mietwohnungen einbricht und nicht mehr in Neubau investiert wird, ist niemandem geholfen. Und wir nehmen den Auftrag ernst, die Mietpreisbremse auf ihre Sinnhaftigkeit hin zu überprüfen.

Dies ist eine redigierte, gekürzte Fassung des Gesprächs. Den gesamten Austausch können Sie als Podcast hören unter: www.hausundgrund.de/presse/wohnen-deutschland-podcast (16. Folge)

Anna Katharina Fricke, Referentin Presse und Kommunikation Haus & Grund Deutschland

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