Wenn gesundheitliche Gründe die Nutzung unmöglich machen:

Befreiung von der Erbschaftsteuer im Familienheim – auch wenn die obligatorische Selbstnutzung nicht möglich ist?

Bei mindestens zehnjähriger Eigennutzung kann innerhalb der Familie eine Immobilie erbschaftssteuerfrei übertragen werden. Was aber, wenn gesundheitliche Gründe diese Nutzung unmöglich machen?

Bei den nach wie vor vielerorts stark gestiegenen Immobilienwerten stellt die Steuerbefreiung als sogenanntes Familienheim oft die einzige Möglichkeit dar, innerhalb der Familie genutzte Immobilien erbschaftsteuerfrei zu übertragen. In steuerlicher Hinsicht kann es sich allerdings negativ auswirken, wenn die Mindestvoraussetzung einer zehnjährigen Weiternutzung nicht eingehalten wird. Wie ist es aber steuerlich zu beurteilen, wenn aus gesundheitlichen Gründen eine derart lange Nutzung dem Erben selbst gar nicht möglich ist?

In dem zugrunde liegenden Fall hatte die Klägerin das von ihrem Vater ererbte Einfamilienhaus zunächst selbst bewohnt, war aber bereits nach sieben Jahren ausgezogen. Im Anschluss wurde das Haus abgerissen. Die Klägerin machte gegenüber dem Finanzamt und dem Finanzgericht (FG) erfolglos geltend, sie habe sich angesichts ihres Gesundheitszustands kaum noch in dem Haus bewegen und deshalb ohne fremde Hilfe dort nicht mehr leben können. Das FG war der Ansicht, dies sei kein zwingender Grund für den Auszug, da sich die Klägerin fremder Hilfe hätte bedienen können.

Entscheidung zugunsten der Erbin
Nun hat der Bundesfinanzhof (BFH) in seinem Urteil vom 1. Dezember 2021 (II R 18/20), das am 7. Juli 2022 veröffentlicht wurde, über den Fall entschieden. Das Gericht urteilte, dass die Erbin die Erbschaftsteuerbefreiung für ein Familienheim nicht verliert, wenn ihr die eigene Nutzung des Familienheims aus gesundheitlichen Gründen unmöglich oder unzumutbar ist.

Der Hintergrund
Die Steuerbefreiung als Familienheim erfordert, dass der Erbe für zehn Jahre das geerbte Familienheim selbst nutzt, es sei denn, er ist aus „zwingenden Gründen“ daran gehindert. „Zwingend“ in diesem Sinne ist aber laut BFH nicht nur die Unmöglichkeit, sondern auch die Unzumutbarkeit der Selbstnutzung des Familienheims. Zwar reichen hierfür reine Zweckmäßigkeitserwägungen, wie etwa die Unwirtschaftlichkeit einer Sanierung, alleine nicht aus. Ist aber der Erbe selbst aus gesundheitlichen Gründen für eine Fortnutzung des Familienheims auf eine so erhebliche Unterstützung angewiesen, dass nicht mehr von einer selbstständigen Haushaltsführung zu sprechen sei, könne auch darin eine Unzumutbarkeit liegen.

Sibylle Barent, Leiterin Steuer- und Finanzpolitik Haus & Grund Deutschland

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